Montag, 28. Juli 2014

28.07.2014, Tatort: Europa

Europa hat sich nun "endlich" dazu durchgerungen, Rußland mit Sanktionen abzustrafen. Kein Wunder, die USA haben ja lange genug gequengelt.
Was ich mich nur die ganze Zeit frage: Warum eigentlich? 
Bisher liegt doch nur der unbewiesene Vorwurf auf dem Tisch, dass die Russen irgendwie die Hauptschuldigen am Ukraine-Konflikt sind. Wie sich das mit der Krim und dem Völkerrecht verhält, darüber kann man sich auch lange streiten. Die Lage in der Ukraine ist bestenfalls unübersichtlich.
Und aufgrund dieser vagen Ausgangslage straft die EU Putin ab und gefährdet weiter das ohnehin strapazierte Verhältnis zur Russischen Föderation? Was ist denn aus dem Prinzip "in dubio pro reo" geworden?

Was vielleicht noch unglaublicher ist: Man darf wohl, zumindest was Europa betrifft, von einer Rundum-Überwachung jeglicher Kommunikation in Westeuropa ausgehen. Außerdem von der Überwachung sämtlicher Flugbewegungen allgemein und der Situation in der Ukraine im Speziellen, und zwar mit allem, was der Westen an Lausch- und Späh-Technologie so aufzubieten hat. Und trotzdem scheint kein Mensch zu wissen, wer die Maschine abgeschossen hat. Oder weiß es, sagt aber nix. Aus was für Gründen auch immer.
Man kann mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit behaupten (genau weiß man auch das nicht), dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Denn keine Partei profitiert vom absichtlichen Abschuss einer zivilen Maschine. So etwas läßt jede Konfliktpartei zum Paria werden, egal wie vorher die Sympathien verteilt waren.

Andererseits scheint der komplette Westen ohnehin schon zu wissen, wer hinter dem Abschuss steckt. Glaubt man den Polemiken in der westlichen Welt, muss man den Eindruck gewinnen, Putin höchstpersönlich hätte das Flugzeug abgeschossen, mit freiem Oberkörper und einem hämischen Film-Bösewicht-Lachen.

Putin selbst sagt nicht viel, außer: Warten wir ab und tragen alle Beweise zusammen. Nicht, dass ich für Russen im allgemeinen oder Putin im Speziellen besondere Sympathien hegen würde, im Gegenteil. Aber die primitive Festlegung auf das Bild des „bösen Russen“ ist absolut lächerlich, gefährlich lächerlich. 

Man darf Putin für seine besonnene Haltung eher gratulieren, angesichts der Hetze, der sich Russland seit Beginn des Ukraine-Konflikts ausgesetzt sieht. Traurig ist es, mit anzusehen, wie wenig die westlichen Staaten, EU und NATO bereits sind, ihre eigene Rolle in diesem miesen Spiel zu reflektieren. Da wären die nicht eingehaltenen Garantien, was die Ausweitung der NATO angeht. Da wäre die unverhohlene Unterstützung der EU für eine ukrainische Regierung, die sich zum Teil aus Neonazis zusammensetzt, und die als erste Amtshandlung die Rechte der russischen Minderheit in der Ukraine eingeschränkt hat.
Was hätten (und haben in der Vergangenheit) die USA alles getan, um befreundete Regime und Diktatoren oder auch ihre im Ausland lebenden Landsleute zu unterstützen? Das ausgerechnet im Washington die größten Kritiker der russischen Politik sitzen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Da ist es nur gut von  Jan Augstein, im SPON nochmal an den versehentlichen Abschuss eines iranischen Zivilflugzeugs durch die Amerikaner im Jahr 1988 zu erinnern.

Die traurige Realität ist doch: Wo Krieg ist, sterben immer auch Unbeteiligte. (Der Begriff „Kollateralschaden“ hat es im Rahmen der NATO-Berichterstattung zum Kosovo-Krieg 1999 zum „Unwort des Jahres“ gebracht.)
Ein Grund mehr, alle Kräfte zu mobilisieren, Konflikte ohne Waffen beizulegen und auch in der Rhetorik mit Besonnenheit zu Werke zu gehen. Es sind schon (Welt-)Kriege aus geringfügigeren Gründen vom Zaun gebrochen worden. Schlimm genug, dass die Weltpolitik wieder über das atomare Gleichgewicht diskutiert, seit die NATO (!) mit dem Bau ihrs Abwehrschirms in Osturopa begonnen hat. 
Da gehört es zu den bizarren Randnotizen dieses Konflikts, dass mitten in der der Krise, während eifrig diskutiert wird, wie und in welchem Umfang Russland nun bestrafen bzw. sanktionieren soll, die Franzosen darauf bestehen, den Russen (also dem nach NATO-Duktus „Aggressor“ in dem Konflikt) zwei Kriegsschiffe zu verkaufen. 

Gut für den Westen, dass es „nur“ Schiffe sind und keine Flugabwehrsysteme. Wie hätte das denn erst ausgesehen?

Wem das als Denkanstoß noch nicht reicht, der möge sich mal die Geschichte des US-Bundesstaates Texas anschauen. Und dann mal die Rhetorik vergleichen zwischen den Separatisten von Alamo ("Freiheitshelden") und denen aus der Ostukraine ("Terroristen").

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