Europa hat sich nun "endlich" dazu durchgerungen, Rußland mit Sanktionen abzustrafen. Kein Wunder, die USA haben ja lange genug gequengelt.
Was ich mich nur die ganze Zeit frage: Warum eigentlich?
Bisher liegt doch nur der unbewiesene Vorwurf auf dem Tisch, dass die Russen irgendwie die Hauptschuldigen am Ukraine-Konflikt sind. Wie sich das mit der Krim und dem Völkerrecht verhält, darüber kann man sich auch lange streiten. Die Lage in der Ukraine ist bestenfalls unübersichtlich.
Und aufgrund dieser vagen Ausgangslage straft die EU Putin ab und gefährdet weiter das ohnehin strapazierte Verhältnis zur Russischen Föderation? Was ist denn aus dem Prinzip "in dubio pro reo" geworden?
Was vielleicht noch unglaublicher ist: Man darf
wohl, zumindest was Europa betrifft, von einer Rundum-Überwachung
jeglicher Kommunikation in Westeuropa ausgehen. Außerdem von der Überwachung sämtlicher
Flugbewegungen allgemein und der Situation in der Ukraine im Speziellen, und zwar mit allem, was der Westen an Lausch- und
Späh-Technologie so aufzubieten hat. Und trotzdem scheint kein Mensch zu
wissen, wer die Maschine abgeschossen hat. Oder weiß es, sagt aber nix.
Aus was für Gründen auch immer.
Man kann mit
größtmöglicher Wahrscheinlichkeit behaupten (genau weiß man auch das
nicht), dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Denn keine Partei
profitiert vom absichtlichen Abschuss einer zivilen Maschine. So etwas
läßt jede Konfliktpartei zum Paria werden, egal wie vorher die
Sympathien verteilt waren.
Andererseits
scheint der komplette Westen ohnehin schon zu wissen, wer hinter dem
Abschuss steckt. Glaubt man den Polemiken in der westlichen Welt, muss
man den Eindruck gewinnen, Putin höchstpersönlich hätte das Flugzeug
abgeschossen, mit freiem Oberkörper und einem hämischen
Film-Bösewicht-Lachen.
Putin
selbst sagt nicht viel, außer: Warten wir ab und tragen alle Beweise
zusammen. Nicht, dass ich für Russen im allgemeinen oder Putin im
Speziellen besondere Sympathien hegen würde, im Gegenteil. Aber die
primitive Festlegung auf das Bild des „bösen Russen“ ist absolut
lächerlich, gefährlich lächerlich.
Man darf Putin für seine besonnene
Haltung eher gratulieren, angesichts der Hetze, der sich Russland seit
Beginn des Ukraine-Konflikts ausgesetzt sieht. Traurig ist es, mit
anzusehen, wie wenig die westlichen Staaten, EU und NATO bereits sind,
ihre eigene Rolle in diesem miesen Spiel zu reflektieren. Da wären die
nicht eingehaltenen Garantien, was die Ausweitung der NATO angeht. Da
wäre die unverhohlene Unterstützung der EU für eine ukrainische
Regierung, die sich zum Teil aus Neonazis zusammensetzt, und die als
erste Amtshandlung die Rechte der russischen Minderheit in der Ukraine
eingeschränkt hat.
Was hätten (und haben in der
Vergangenheit) die USA alles getan, um befreundete Regime und Diktatoren
oder auch ihre im Ausland lebenden Landsleute zu unterstützen? Das
ausgerechnet im Washington die größten Kritiker der russischen Politik
sitzen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Da ist es nur gut von Jan
Augstein, im SPON nochmal an den versehentlichen Abschuss eines iranischen
Zivilflugzeugs durch die Amerikaner im Jahr 1988 zu erinnern.
Die
traurige Realität ist doch: Wo Krieg ist, sterben immer auch
Unbeteiligte. (Der Begriff „Kollateralschaden“ hat es im Rahmen der
NATO-Berichterstattung zum Kosovo-Krieg 1999 zum „Unwort des Jahres“
gebracht.)
Ein Grund mehr, alle Kräfte zu
mobilisieren, Konflikte ohne Waffen beizulegen und auch in der Rhetorik
mit Besonnenheit zu Werke zu gehen. Es sind schon (Welt-)Kriege aus
geringfügigeren Gründen vom Zaun gebrochen worden. Schlimm genug, dass die Weltpolitik wieder über das atomare Gleichgewicht diskutiert, seit die NATO (!) mit dem Bau ihrs Abwehrschirms in Osturopa begonnen hat.
Da
gehört es zu den bizarren Randnotizen dieses Konflikts, dass mitten in
der der Krise, während eifrig diskutiert wird, wie und in welchem Umfang
Russland nun bestrafen bzw. sanktionieren soll, die Franzosen darauf
bestehen, den Russen (also dem nach NATO-Duktus „Aggressor“ in dem
Konflikt) zwei Kriegsschiffe zu verkaufen.
Gut für den Westen, dass es
„nur“ Schiffe sind und keine Flugabwehrsysteme. Wie hätte das denn erst
ausgesehen?
Wem das als Denkanstoß noch nicht reicht, der möge sich mal die Geschichte des US-Bundesstaates Texas anschauen. Und dann mal die Rhetorik vergleichen zwischen den Separatisten von Alamo ("Freiheitshelden") und denen aus der Ostukraine ("Terroristen").
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