Mittwoch, 28. Oktober 2015

Every fucking Monday, Tatort: Dresden

Aspekt 1: Vor kurzem wurde eine interessante soziologische Studie veröffentlicht.[LINK].

Zusammengefasst lautet die These in etwa so: Wir befinden uns in einem Übergang der Kultur der Moral.

Der erste Übergang fand im 18. und 19. Jahrhundert statt, wo aus der Kultur der Ehre, die man sich erarbeiten und permanent verteidigen mußte, eine Kultur der "Menschen)Würde wurde. In dieser besitzt jeder Mensch von vornherein Würde, wird diese verletzt, holt er nicht mehr selbst die Duell-Pistole heraus, sondern wendet sich an Polizei und Justiz.

Der jetzige Übergang zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen sich häufig nicht mehr über ihre Würde definieren, sondern über ihr Opfertum. Soll heißen: Man definiert sich darüber, wie stark und durch wen man  (tatsächlich oder zurechtgesponnen) verfolgt und benachteiligt wird. Als solches (Opfer) erklärt man sich selbst für machtlos und bildet daher mit anderen eine Opfergruppe, die dann möglichst laut und larmoyant ihre Position in die Öffentlichkeit oder zu irgendwelchen Gremien trägt. Dabei wird dann gern auch mal übertrieben, um das eigene tatsächliche oder eingebildete Opfertum noch einmal überdeutlich herauszustreichen.

Aspekt 2: Ich hab mir kürzlich die Doku "Die AfD - Von Biedermännern und Brandstiftern" angeschaut [LINK zur Mediathek des ZDF].

Dabei, und ebenso bei den Pegida-Demos und Auftritten anderer rechter Demagogen fällt immer wieder eines auf: Das Stilisieren der eigenen Gruppe zu Opfern. Man sei Opfer der Politiker, der Asylanten, der Linbken, der Amerikaner, der (Lügen-)Presse, der Medien, der Justiz und was den Rechten noch so alles an böswilligen Unterdrückern einfällt. Man dürfe ja nix mehr sagen (was sie immer sagen, bevor sie genau das sagen, was sie angeblich nicht sagen dürfen), man würde ja gleich in die rechte Ecke gestellt (wo sie sich aber scheinbar pudelwohl fühlen). Über dieses eingebildete Opferbild funktioniert dann auch der Schulterschluß der rechten Rattenfänger, ob sie nun Hogesa, Pegida, AfD oder NPD heißen.
Würde, die eigene oder die anderer, sucht man in deren Reihen vergeblich.

Soweit die Theorie. So ganz stimmig ist das Bild dann aber am Ende nicht mehr. Denn aus dem Opferkult leiten die neuen Rechten ein neues Selbstbewußtsein für sich ab, aus dem heraus ihre Führer sich zum Sprachrohr und Advokaten der Gruppe aufschwingen und dabei den Rest des "deutschen Volkes" frech und ungefragt mit vereinnahmen. Diese Brandstifter biedern sich dann den unterdrückten Volksgenossen als neue Vertreter ihrer Opfer-Interessen an.
Natürlich sind die ganzen "besorgten Bürger" von Pegida nicht unterdrückt. Natürlich könnten sie sich weiter an Politik, Presse, Polizei und Justiz wenden - (was sie im Zweifel auch tun) - wenn, ja wenn sie diese nicht vorher zum Feindbild und damit unerreichbar gemacht hätten. Bizarr ist, dass die Rechten die von denselben Institutionen und dem Grundgesetz garantierten Rechte für sich beanspruchen, beides aber gleichzeitig ablehnen. Aber Ironie war noch nie die Stärke der Demagogen.

Aus der eingebildeten Ohnmacht ihres Opfertums heraus resultiert Aggression, die sich meist heroisch auf den Schwächsten entläd.

Schade, dass die Mitläufer (die wahren Rechten sind ohnehin unbelehrbar, denn denen geht es um Macht, und nichts sonst) scheinbar nie in den Spiegel schauen (und damit meine ich nicht das Magazin). Und sich scheinbar auch nie mal nüchtern die Truppe anschauen, bei der sie mitmarschieren: Ein Tross trotziger Jammerlappen, die die Augen vor der Realität verschließen und sich lieber in ihrem eingebildeten Elend suhlen. Wohlgenährte Biedermänner, die für sich das Recht einklagen erjammern, bei der "Tafel" Essen für sich zu fordern. Menschen, in deren Mund das ehemals mutige "Wir sind das Volk" zu einer schalen Floskel der bornierter Selbstgerechtigkeit zerrinnt.

Sie würden vielleicht erkennen, was für ein armseliger Haufen sie tatsächlich sind.
Nicht, weil sie Opfer sind, sondern weil sie sich selbst dazu machen.