Samstag, 28. März 2015

27.03.2015, Tatort: Berlin. Deutschland. Überall.

Wir leben in einem seltsamen Land.

Heute wurde in Berlin ein Gesetz verabschiedet, dass angeblich außer der CSU keiner will. Mit großer Mehrheit und den Stimmen der SPD.

Dem Westen steht vielleicht ein heißer Krieg mit Rußland bevor. Direkt vor unserer Haustür.
Merkel tut: Nichts.
Die Euro-Zone steht eventuell vor einer schwerwiegenden Währungskrise und Rezession. In Deutschland könnte es in den nächsten Jahren so werden wie in Südeuropa, mit Massenarbeitslosigkeit, bitterer Armut und sozialer Kälte.
Merkel tut: Nichts. Gießt mit ihrer Erpresserhaltung gegenüber den Griechen noch Öl ins Feuer.
Mit Abstand beliebtester Politiker, Tendenz steigend: Angela Merkel.

Aktuell bequemster Job (sagen Streik-Gegner und Fluggäste): Lufthansa-Pilot.
Aktuell undankbarster Job (sagen Lufthansa-Piloten, Fluggäste und alle andern): Germanwings-Pilot.

Vorratsdatenspeicherung, TTIP, Quotenregelung, Netzneutralität, Marihuana, Kryptographie, G8, G9, G20, Inklusion, Gentrifizierung. Usw usw.
Haben alle schonmal gehört. Kaum einer weiß, was es ist. Trotzdem - oder deshalb - sind die meisten dagegen. Oder eben dafür, je nachdem.
CDU und SPD machen es trotzdem.Oder eben nicht, je nachdem.
Kausalkette des Absurden.

Wir führen biometrische Ausweise ein, um Terroristen zu fangen. Denen, von denen wir wissen, dass sie Terroristen werden könnten, nehmen wir sie weg.
Wir machen Flugzeugtüren bombensicher. Um Menschenleben zu retten. Und bringen damit Menschen um.

Was wird abgesagt, weil ein Fernsehsender seine Pietät zum Ausdruck bringen will? Mitunter die einzigen Formate, die noch wissen, was "Pietät" bedeutet: Satire-Sendungen.
Was darf weiter laufen? Der ganze andere, gänzlich pietätlose Scheiß.

Wollen bei Amazon Prime Kunde sein: Alle. Weil man für Versand nix zahlt.
Wollen bei Amazon arbeiten: Keiner. Weil man im Versand nix verdient.

Voll der böse Russe: Wladimir Putin. Hat noch nie mit einer Drohne eine Hochzeitsgesellschaft verdampfen lassen. Mag dafür keine Schwulen.
Voll der gute Ami: Barack Obama. Hat versehentlich schon 150 (und ein paar zerquetschte) Kinder umbringen lassen, aber dafür zwei Truthähne begnadigt.
Übrigens, voll der gute Russe: Helene Fischer.

Ein Asylbewerberheim anzünden: Geht so.
Ein Auto anzünden: Geht gar nicht.

Wir leben in einem seltsamen Land, in einer seltsamen Welt.

Als würden wir alle in einem gigantischen Loriot-Sketch mitspielen, der niemals endet. Die Teutonen-Version von Dantes Inferno.

Montag, 23. März 2015

22.03.2015, Tatort: TV

Was soll man eigentlich von der Marke "Spiegel" noch halten?

Die Print-Ausgabe hatte ich wegen galoppierender Belanglosigkeit schon lange nicht mehr in der Hand. Einst als "Sturmgeschütz der Demokratie" gepriesen, sind wirklich bemerkenswerte Berichte, Aktionen oder Kampagnen eher Mangelware. Sieht man mal von der Veröffentlichung der Wikileaks-Dokumente ab, ist der Spiegel schon seit Jahren die Haus- und Hof-Postille der konservativen Mitte, ein klägliches Rinnsal inmitten des Mainstreams.

Und wenn der Web-Ableger Spiegel Online wohl noch immer einer der meistgelesenen deutschen News-Plattformen ist, dann liegt das vor allem daran, dass dort jeder Simpel etwas für den eigenen Geschmack findet. Hier ein konservativer Artikel, dort ein linker Kommentar, hier ein bißchen Boulevard, dort ein bißchen Forumsgeplärre. Ein kaltes Büffet der Beliebigkeit. Innovativ, investigativ? Am Arsch.

Der wahrscheinlich schlimmste Auswuchs der Marke aber ist wohl Spiegel TV.
Solange Stefan Aust dort moderierte und als Chefredakteur tätig war, hatte man zumindest als Zuschauer das Gefühl, dass bei Spiegel TV gesellschaftlich relevante Themen sachkundig und  kritisch aufbereitet und abgearbeitet wurden. Natürlich waren auch damals schon Nerv-Themen dabei, sich alljährlich wiederholende Spötteleien über Oktoberfest-Bierleichen usw. Auch der  provozierende Fragestil, mit dem ins Visier der Öffentlichkeit geratene Personen von Kamerateams über Flure und durch Parks bis vor die heimische Haustür gehetzt und bis aufs Blut gereizt wurden, war damals schon gang und gäbe.
Wenn ich mir aber nur die heutige Ausgabe anschaue (und das habe ich getan), ärgere ich mich im Nachhinein über die Verschwendung meiner Lebenszeit.

Der erste Beitrag war der gefühlt zwanzigste zum Thema "kriminelle Roma-Banden in Deutschland".
Nachdem mit den Hells Angels, an denen sich Spiegel TV bisher mit schöner Regelmäßigkeit abgearbeitet hat, nicht mehr viel los ist, sind Betrügerbanden das neue Lieblingsspielzeug der SPiegel TV-Redakteure. Die Bilder gleichen sich, die O-Töne gleichen sich, die Verbrechen, die Gesichter, die Aussagen von Polizei und Staatsanwaltschaft auch. Würde man alle paar Wochen denselben Beitrag zeigen, es würde wohl kaum auffallen.

Den zweiten Beitrag kann man wohl nur als Schande bezeichnen. Da werden ein paar junge Leute gezeigt, die sich in einem Wäldchen verschanzt haben, um der Ausweitung eines RWE-Braunkohle-Tagebaues zu blockieren, und dabei nicht davor zurückschrecken, den ein oder anderen Bagger zu demolieren.
Nun hätte man über die Aktion zum Beispiel wertfrei berichten können. Man hätte das Engagement und den Idealismus der jungen Leute würdigen können, die in ihren Wortbeiträgen zwar ideologisch, aber nicht weltfremd und wohl begründet argumentierten. Man hätte die Thematik aufgreifen, über Umweltzerstörung berichten und dem "Energie-Riesen" ans Bein pinkeln können.
Die verantwortlichen "Journalisten" gefielen sich stattdessen darin, die Aktionen mal mit leicht spöttelnden, mal mit larmoyant-anklagenden Kommentaren zu untermalen.
Die Krönung war dann die Behauptung, die Besetzer hätten keinen Rückhalt in der nahe gelegenen Ortschaft, derselben, die demnächst dem Tagebau weichen muss. Zum "Beweis" wurden drei mutmaßliche Anwohner gezeigt, die aber eigentlich nur abwinkten und lakonisch meinten, die jungen Leute wären mit ihrem Protest zu spät dran, man hätte das schon Jahre vorher machen sollen.
Echte Ablehnung sieht anders aus. Von Betroffenen, die sich offenbar seit längerem mit ihrem Schicksal abgefunden haben, die möglicherweise sogar vom Tagebau profitieren, sind wohl kaum revolutionäre Proteststürme zu erwarten.

Dritter Beitrag war ein Filmchen über "Plus-Size-Models", der so auch bei "Explosiv" hätten laufen können - da ist kein weiterer Kommentar nötig.

Erst der vierte Beitrag hatte wieder ein wenig mehr Relevanz, es ging um die Lage der Flüchtlinge aus Syrien, hier in Deutschland und im Libanon. Zum Weinen. Journalistisch betrachtet sprachen aber hier wieder hauptsächlich die Bilder. Die visuelle Abbildung tragischer Schicksale - machtvoll, anrührend, tragisch.
Eine Weitergabe von Wissen, eine Er- oder Aufklärung über Hintergründe und Fakten oder auch mal ein leidenschaftliches Plädoyer, wie man es vielleicht von einem "Sturmgeschütz der Demokratie" erwarten würde, suchte man vergeblich.

Da passt es doch ins Bild, dass lt. wikipedia die verantwortliche Produktionsgesellschaft auch so investigative Hochglanz-Formate wie Markus Lanz' Koch-Show produziert hat.