Montag, 6. Februar 2017

Tatzeit: die Ära Trump, Tatort: Germany

Eine kleine Übung in Schizophrenie:

Liebe AfD-Sympathisanten und Patrioten*,

sind wir uns eigentlich einig, dass Trump ein pathologischer Lügner, Narzist und Penthouse-Faschist ist, dem es zuzutrauen ist, dem eigenen Ego und der Profitgier amerikanischer Banken und Konzerne sämtliche gesellschaftlichen Werte, den Weltfrieden und wenn es sein müßte, die Welt als Ganzes zu opfern**?

Nein?

Dann können wir uns vielleicht zumindest darauf einigen, dass Trump mit seiner US-zentrierten Wirtschaftspolitik potentiell deutsche Arbeitsplätze gefährdet? Okay?

Das müßte ihn doch aus Sicht eines deutschen Patrioten zum Feind Deutschlands machen, richtig?

Und seid ihr nicht sowieso der Meinung, dass amerikanische Banken (die Trump gerade wieder von der Kette läßt) ohnehin die deutsche Politik fremdsteuern? Und das ist bäh-bäh, gell?

Nun: "Eure" AfD, die Partei, die ihr euch zur Vertretung eurer Interessen ausgeguckt habt, findet Trump prima. Genau wie ihre rechten Kumpel-Parteien im Rest Europas.***
Weil Trump das macht, was sie auch gern tun würden: Mauer um die eigene Nation, um das Böse draußen zu halten (hey, ehemalige DDR-Bürger: Da werden schöne Erinnerungen wach, oder?), überhaupt die Welt in gute und böse Menschen einteilen, dann Waffen an die Guten verteilen, damit die ihr "wir zuerst" gegen die Bösen durchsetzen können. Und dann dabei irgendwie reich werden.****
Offiziell natürlich nur, weil beide ein gemeinsames Feindbild haben: Flüchtlinge und Moslems*****. Der Rest der weitgehend menschenverachtenden, antisozialen Ideologie fällt unter den Tisch. Darin haben die Rechten ja Übung. Ich sag nur "Autobahn".

Also, wie jetzt: Trump Scheiße finden, aber trotzdem die Partei gut finden, die Trump richtig gut findet? Macht das Sinn? Liegt es da nicht nahe, sich mit der AfD erst recht jemanden einzutreten, der unser lieb Vaterland an die USA verscherbelt? "Deutschland zuerst" und "America first" können schlecht gleichberechtigt koexistieren, oder? Sind da nicht zumindest Zweifel angebracht?
By the way: Marine Le Pen, politische Freundin von Frauke Petry und AfD, ist gerade mit "le premier France" ("Frankreich zuerst") in den Wahlkampf gestartet.

Neuer Blickwinkel: Letztens hat die Spaß-Guerilla der Lügenpresse, alias "heute show", einen "Reporter" zum "interviewen" einiger Trump-Unterstützer nach Washington geschickt, welche sich pflichtschuldigst mit nahezu pegidistischer Inbrust zu wilden Aussagen hinreißen ließen: Die Amerikaner hätten es satt, dass die Deutschen sie um Essen anbetteln, hieß es da zum Beispiel. Einer war davon überzeugt, dass sich in den wörtlich "heiligen Springbrunnen des Schwabenlandes" Flüchtlinge waschen.

Lustig, oder? Die doofen Amis wieder... Habt ihr auch so über den Grad an Dummheit Bildungsnotstand Desinformation gelacht?

Nein, nicht wirklich. Denn die Knalltüten waren von ihrer Version der Wahrheit genau so überzeugt wie ihre deutschen Pendants, ob sie sich nun Wutbürger, besorgte Bürger, Reichsbürger oder sonstwie nennen. Übrigens: Alle miteinander waren sich einig, dass die Presse ohnehin nur Lügen über die USA im allgemeinen und den lieben Trump im besonderen verbreitet.

Wer von euch Nasen die Sendung gesehen hat: Ihr habt keine "doofen Amis" gesehen. Ihr habt in den Spiegel geguckt.

Blickwinkel Nr 3: Wie sicher seid ihr euch, dass Deutschland von einer hegemonialen, nationalistischen Welt bzw. von einem hegemonialen, nationalistischen Europa profitieren wird? In einer Welt, in der die Staaten sich gegeneinander abgrenzen, internationale Vereinbarungen aufkündigen und fremdenfeindliche Klischees bemühen, ist in so einer Welt der wirtschaftlich und politisch dominante"Exportweltmeister" Deutschland von heute denkbar?
Wie wird sich Deutschland als Exportnation in den prognostizierten Wirtschaftskriegen wohl besser schlagen: Als prägendes Mitglied in der EU, dem größten Binnenmarkt der Welt, oder als Einzelkämpfer? Sollte man in einer Zeit, in der es erforderlich ist, halbwegs geeint und selbstbewußt zusammenzustehen, eine Partei unterstützen, die eine separatistische Politik verfolgt?

Herzlichst,
der Michel

*) alle Reichsbürger und überzeugten Rechten dürfen weglesen, die sind eh schon verloren
**) selbstverständlich abgesehen von ihren schwer bewachten Privatinseln und anderen Enklaven
***) Darin liegt doch die faulige Wurzel der Schizophrenie dieser rechten "Internationale": Was soll man von einer "Parteienfreundschaft" halten, wo diese Parteien in ihrem nationalistischen Kern völlig gegensätzliche, hegemoniale Interessen verfolgen?
****) Das ist natürlich stark verkürzt dargestellt.
*****) Schon mal überlegt, an wem sich die AfD nicht nur verbal austoben wird, wenn sie mal mit denen fertig ist? Frei nach Niemöller:

"Als die AfD die Flüchtlinge holen ließ, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Flüchtling. Als sie die Moslems einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Moslem. Als sie die links-grün Versifften holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Grüner. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."