Donnerstag, 7. Januar 2016

31.12.2015, Tatort: Köln

Soll man das Totkommentierte noch weiter kommentieren?
Antwort: ja. Grund: Weil hier nichts zusammenpaßt.

Tatsache heute, 07.01.2016: In der Silvesternacht hat es in Köln Straftaten gegeben, innerhalb einer alkoholisierten Menschenmenge von Kriminellen, Feiernden und kriminellen Feiernden.
Zu diesen Vorgängen gibt es einen Stapel Gerüchte und Mutmaßungen, aber scheinbar wenig Konkretes. Klar ist allerdings, dass die einschlägigen Rechten die Gerüchte, es habe sich bei den Kriminellen um vorzugsweise arabisch aussehende Männer gehandelt ("Wir haben es ja gleich gewußt!"), für ihre Propaganda nutzen - wenig überraschend. Der CSU-Generalsekretär hat soeben im TV in populistischer CSU-Manier gefordert (auch er, ohne Fakten zu kennen), unter anderem Straftäter mit Migrationshintergrund müßten ausgewiesen werden.

Schlaumeier. Laut Stat. Bundesamt hat jeder Fünfte in Deutschland einen Migrationshintergrund (nach 1949), 56% haben einen deutschen Pass. Wohin will er letztere denn ausweisen?

Was alles nicht so recht paßt:
Schauen wir mal in eines der meistgelesenen Netz.Medien, Spiegel Online. Dort stand gestern abend unter der Überschrift "Was wir über die Angriffe in der Silvesternacht in Köln wissen" u.a., es seien 150 Anzeigen eingegangen. Ein Tag später steht bei SpOn, es waren 100.
Es ist immer wieder davon die Rede, der Bahnhofsvorplatz, auf dem das alles geschehen ist, sei geräumt worden. Trotzdem hätten größere Männergruppen Jagd auf Frauen gemacht, die Polizei sei machtlos gewesen. Wie geht das, auf einem geräumten Platz?
Der "interne Polizeibericht" (wenn der intern ist, wieso zitieren dann alle Medien heute daraus?) liest sich wie das Klischee-Handbuch der Rechten, ist zudem in Teilen spekulativ.
Dort werden Polizisten zitiert, z.B. jemand hätte gerufen "Ich bin Syrer, ihr müßt mich freundlich behandeln. Frau Merkel hat mich eingeladen." Man darf wohl davon ausgehen, dass an dem Abend eine Menge gerufen wurde, vor allem Unfreundliches. Warum ausgerechnet dieser Satz herausgegriffen wurde, erfährt man nicht. Auch nicht, ob es sich bei dem Rufer tatsächlich um einen Syrer gehandelt hat (schnell Deutsch gelernt, Hut ab), ob der Satz in Zusammenhang mit einer Straftat gefallen ist oder einfach so.
Ein weiteres herausgehobenes Zitat: Menschen hätten vor den Augen der Polizei Aufenthaltstitel zerissen mit der Ansage, sie würden sich morgen einen neuen holen, danach wird aber gleich gesagt, man wisse nicht genau, was die Leute da tatsächlich zerrissen hätten. Nehmen wir mal an, irgendjemand habe tatsächlich so etwas Hirnverbranntes getan, wie seinen Aufenthaltstitel zu zerreissen (auf dessen Ausstellung laut unterschiedlichen Behörden-Auskünften im Netz man 4-8 Wochen wartet und dessen Wiederbeschaffung 60 Euro kostet): Erstens ist das allein keine Straftat, zweitens: Falls das so passiert ist, wieso hat die Polizei die Schnipsel nicht aufgehoben oder die Person überhaupt an der Handlung gehindert? Was auch hier wieder fehlt, ist die Angabe, ob es sich bei diesen Personen gleichzeitig um Straftäter gehandelt hat.
Desweiteren wird der Bericht zitiert, es eien Zeugen bedroht worden, wenn sie Straftäter benannten.
Preisfrage: Wieso werden Zeugen im Beisein offenbar gewaltbereiter Dritter vernommen? Wenn es Zeugen der angeblich hundertfachen Straftaten gibt, wieso gibt es dann nach sieben Tagen erst 4 Verdächtige, zwei davon in Haft, allerdings "nur" wegen Taschendiebstahls?
Dieser interne Bericht, oder zumindest die Zitate daraus, haben ein "Geschmäckle".

Auf Spiegel Online ist zudem ein kurzes Handyvideo und ein paar Fotos des Abends zu sehen. Darin sieht man verschwommen eine Menschenmenge, augenscheinlich hauptsächlich Männer, die auf der Domplatte herumstehen, hie und da knallt es, und überall sind leuchtende Handys zu sehen, mit denen gefilmt wird. Nichts, was man auf der Domplatte in der Silvesternacht nicht erwartet hätte.

Was ich mich in diesem Zusammenhang von vornherein frage: Wenn tatsächlich Horden betrunkener junger Männer massenweise und organisiert Frauen sexuell belästigt hat, wieso gibt es davon nicht ein einziges Handyvideo? Wenn diese Belästigungen und Vergewaltigungen stattgefunden haben, dann muss es dabei Dutzende von Männern gegeben haben, angetrunken oder nicht, die dabei gestanden und zugeschaut haben. Und von davon existiert nicht ein einziges Video? Wo sonst jeder Hundeschiss gefilmt wird?
Kann natürlich sein, dass nach der Ausnüchterung deren schlechtes Gewissen nicht groß genug ist, ihr Video zur Polizei zu schaffen, um sich nicht den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung gefallen lassen zu müssen. Aber, mal abgesehen davon, dass man so einen Vorwurf auch entkräften  oder das Video anonym ins Netz stellen könnte, wäre dann allen gleichzeitig ihr Gewissen abhanden gekommen? Auch irgendwie schwer vorstellbar. Denn auch wenn jetzt wieder reflexhaft das "Frauenbild im Islam" diskutiert wird: Öffentliche Massenvergewaltigungen sind in keiner auch nur annähernd zivilisierten Gesellschaft oder Religion akeptiert. Wobei mir dabei auch die "Wiesn" einfällt, mit hunderten von Straftaten jährlich, davon im Schnitt ein Sexualdelikt pro Tag.

Kann es sein, dass - falls sich die Vorgänge in Köln wirklich so abgespielt haben - die Gründe eher in der Kombination "junge Männer plus zu viel Alkohol" zu suchen sind und nicht in der kulturellen Herkunft?

Und könnte man mal bitte mit aufhören, in die rassistische Hysterie von Rechts mit einzustimmen? Auch noch der gutmeinenste Gutmensch ganz links außen wird eine tatsächliche Straftat, vor allem gegen Frauen, nicht leugnen und verfolgt sehen wollen, egal, wer sie verübt hat. Frauenrechtler finden sich traditionell eher im linken Lager. Insofern muss man auch Sascha Lobo recht geben, der ebenfalls im SpOn schreibt, das plötzliche Interesse der Rechten an Frauenrechten sei nur Fassade für Rassismus.