Mittwoch, 1. April 2015

29.03.2015, Tatort: Russland / USA

Zunächst mal: Ich bin kein "Russland-Versteher". Ich kann die Schwarz-Weiß-Malerei der Anti-USA-Deutschland ist besetzt-Verschwörungstheoretiker nicht ab. Allein schon, weil sich hier plumpe Anti-Amerikanisten, Nationalisten, Ultralinke und völkische Esoterik-Spinner zu einem unausgegorenen Mix verquirlen, der immer mindestens auf einem Auge blind ist.

Genau so sehr aber lehne ich die hiesigen "Qualitäts-Medien" ab, die sich das vorbehaltlose Wiederkäuen von überwunden geglaubter, anti-russischer Kalter-Kriegs-Rhetorik zur Aufgabe gemacht haben, allen voran leider die öffentlich-rechtlichen.

Ein Blog, das sich offenbar zur Aufgabe gemacht hat, Entgleisungen letzterer zu entlarven, wäre https://propagandaschau.wordpress.com/.
Obwohl der Blog rhetorisch immer mal wieder ins Verschwörungstheoretische abgleitet, sind dort doch ein paar recht interessante Beobachtungen  festgehalten. Entdeckt habe ich dort auch folgenden, recht differenziert erscheinender Artikel bzw. Link, für den ich eine klare Lese-Empfehlung ausspreche:

http://logon-echon.com/2015/03/09/moskau-ein-reisebericht/

Die Lektüre hat mich inspiriert, tatsächlich mal nachzuschauen, wie es in den USA um die Rechte von Minderheiten bestellt ist. Nicht um zu relativieren oder Zahlen zu jonglieren, sondern um mal zu schauen, wieviel davon in der deutschen Presse landet. Insbesondere, nachdem uns regelmäßig Horrormeldungen über die Rechte Homosexueller in Rußland erreichen.
Netterweise hat mir ein amerikanischer Journalist die Aufgabe weitgehend abgenommen, die USA mit Rußland zu vergleichen.

Wer sich die 129 Seiten umfassende Abhandlung nicht zu Gemüte führen möchte, dem sei hier das Ergebnis grob zusammengefasst: Die russische Gesetzgebung ist in weiten Teilen fortschrittlicher als in den USA. Die öffentliche Meinung wiederum ist in Russland um einiges homo-feindlicher als in den USA, wobei es zwischen den US-Bundesstaaten teilweise deutliche Unterschiede gibt.
Allerdings sind in den USA 100 mal mehr "hate crimes" gegen Homosexuelle dokumentiert, Dunkelziffern sind in beiden Staaten vorhanden, die Höhe unklar.

Weder die USA noch Rußland sind also Homosexuellen-Paradiese. Wie aber sieht die Berichterstattung in deutschen Medien aus?

Das Google-Ergebnis verwunderte mich dann nicht sonderlich.  

Während man in deutschen Medien, von NGOs und von Lobby-Organisationen allerlei Schreckliches über Rußland erfahren kann, erfährt man von den USA zum selben Thema zunächst erstmal lauter Lobhudelei über verbesserte Gesetzgebung. Will man Zahlen und Fakten wissen, muss man sich hauptsächlich durch Blogs und ausländische Webseiten wühlen. Einzig bei Spiegel Online bin ich fündig geworden.

Eine ausgewogene Berichterstattung findet man nicht. Stattdessen viel Schwarz-Weiß-Malerei, die streng nach Propaganda riecht.

Friedrich Küppersbusch hat es zuletzt in einem Interview auf den Punkt gebracht: Der politische Journalismus in den ÖR-Medien befindet sich aufgrund seiner Nähe zu den Parteien in einem "Dolmetscher-Modus": "Wir erklären euch, was Siggi Gabriel gemeint hat" statt "Wir sagen Siggi mal, wo der Hammer hängt".
Warum die Privaten (Sender und Presse) mit wenigen Ausnahmen in dieselbe Kerbe hauen, ist  nicht ganz klar. Vermutlich ist es einfach billiger, einmal Vorgekautes oder von Propaganda-Kanälen kostenlos bereitgestelltes Material zu übernehmen, statt aufwendig selbst zu recherchieren. Vielleicht will man sich auch das Verhältnis zu Parteien, Politikern und auch Werbepartnern nicht kaputtmachen - man ist ja voneinander abhängig.

Zurück bleibt leider das Gefühl, dass man keinem Medium so recht trauen kann. Trotz, oder vielleicht auch gerade wegen der Fülle an verfügbaren Informationen fühlt man sich seltsam desinformiert.
Jeder geht mit diesen Gefühlen unterschiedlich um. Die einen glauben mit starrsinniger Verzweiflung alles, die andern mit resignierender Verbitterung nichts. Die einen schreien "Lügenpresse", die andern schalten ab und blenden aus, die nächsten suchen sich im Netz die notwendigen Steinchen für ihr eigenes Weltbild-Mosaik.

Ein Lehrstück über Vertrauensverlust.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen